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23.1.04 17:58
Parteiübergreifende Allianz für Aufschwung Ost angemahnt - Nicht nur Geld verteilen, sondern völlig neue Wege gehen
Berlin, 22. Januar 2004. Ist der Osten noch zu retten? - das fragte der Märkische Presse- und Wirtschaftsclub Berlin Bundesminister Manfred Stolpe, Beauftragter für den Aufbau Ost, sowie den Arbeitsminister von Mecklenburg/Vorpommern Helmut Holter, den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Erfurt, Manfred Ruge, IHK-Präsident von Magdeburg Dr. Klaus Hieckmann und Edgar
Most, Direktor der Deutschen Bank AG.
Jeder aus seiner Sicht bekräftigte faktenreich vor 200 Teilnehmern im Atrium der Deutschen Bank - ein Zeichen für das öffentliche Interesse am Thema, das auf allen Parteitagen neuerdings totgeschwiegen wird: Wenn nicht bald Entscheidendes zur Rettung des Ostens passiert - nein. Dann eht alles den Bach herunter. Und jeder der Podiumsteilnehmer verwies -
ohne Geleistetes klein reden zu wollen - auf die eminente europäische Bedeutung der wirtschaftlichen Misere Ostdeutschlands, das als schwächstes Glied der EU gilt: Nur ein Zehntel des deutschen Bruttosozialprodukts wird hier erarbeitet, ein Zwanzigstel des Exports, 30 Prozent weniger Arbeitsproduktivität als im Westen. Manfred Stolpe treibt die Sorge um, dass "wir beim Auslaufen des Solidarpaktes II im Jahre 2019 immer noch weit entfernt sind vom Verfassungsauftrag, die Lebensverhältnisse Ost/West angeglichen zu haben". Ehrlichkeit in der Darstellung der wirklichen Lage sei dringend angeraten, zumal 80 Prozent der Deutschen nicht im Osten lebten und den Begriff "Aufschwung Ost" nahezu als "Unwort" betrachteten. Deshalb sei Transparenz von Nöten. Stolpe erläuterte das an Fakten. Die Arbeitslosigkeit läge ohne Berücksichtigung von 400 000 Tagespendlern, 200 000 Menschen, die aus dem Leistungsbezug ausgeschieden sind, und tausender ABM-Stellen real bei 28 bis 30 Prozent. Arbeitsförderungsmassnahmen seien als flankierendes Projekt für strukturschwache Gebiete, wo ein Arbeitsplatz auf 80 Suchende käme, notwendig. Als Hebel zur Verbesserung der Lage nannte Stolpe Infrastrukturmaßnahmen im Verkehr und beim Stadtumbau Ost, deren Finanzierung gesichert sei. Weiterhin die Fortsetzung von Investitionen und die Zahlung von Zuschüssen als Anreiz für Unternehmen, damit sie den Osten Deutschlands nicht weiter "als toten Winkel" betrachteten und sich ansiedelten. Zum Dritten Innovationen, z.B. in Biotechnologie, Triebwerksbau, Energiewirtschaft und Landwirtschaft, die zur europäischen Spitze gehöre. Die wachsende Differenzierung in Wachstumsregionen wie Berlin und Umland, Leipzig, Dresden, Erfurt, Jena, die Küstenregion und strukturschwache Gebiete, die von Bevölkerungsschwund, Überalterung und Verarmung gekennzeichnet seine, gelte es durch eine neue "Justierung des Aufbaus Ost" auszugleichen.
Deutschbanker Edgar Most will einerseits die Bildung privaten Kapitals im Osten, das jetzt bei 8 bis 12 Prozent liegt, gefördert sehen. Nur so könne es zu einem selbsttragenden Aufschwung kommen. Andererseits sollte das internationale Kapital angelockt werden. Er schlägt der Bundesregierung Freihandelszonen und Steueroasen in Absprache mit Brüssel vor. Mit Zuschüssen allein sei es nicht getan. Man brauche Sonderregelungen wie seinerzeit im Saarland, in Nordirland oder der Schweiz. Es gehe darum "neue Ideen zu entwickeln und nicht nur Geld zu verteilen".
Diesen Gedanken schloss sich der Schweriner Minister Helmut Holter an. Man brauche endlich eine staatliche Strukturpolitik, um einen selbsttragenden Aufschwung zu erreichen Er gab "ein Plädoyer für eine neue Aufbruchstimmung" ab, um "ungenutztes Power-Potential" zu wecken und schlug eine parteiübergreifende Allianz der Lobbyisten vor, die antritt, den Osten zu retten, ehe er verloren ist. Vehement unterstützte er einen Diskussionsredner aus dem Publikum und legte Manfred Stolpe ans Herz, eine Regierungsentscheidung herbeizuführen, nach der alle Beschlüsse zu Ostdeutschland am Kabinettstisch durch seine Brille gehen
sollten.
Einer der vielen Konjunktive dieses Abends. Wenigstens darüber war man sich einig.
MPW Berlin
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